Die neuen Freiheiten des Nico Semmler
Bob Der Ilsenburger hat sich den Status als Olympiakader gesichert – das erleichtert seinen Weg zu den nächsten Zielen


Daniel HübnerMagdeburg Jens Eggert ist begeistert von dem jungen Mann: „Nico ist immer cool drauf“, hat der Vizepräsident des Rodel- und Bobsportverbandes Sachsen-Anhalt berichtet. Und einen eindrucksvollen Beweis dazu geliefert. Als Nico Semmler im Januar zum Start des zweiten Laufes bei der Junioren-Weltmeisterschaft in Winterberg ging, als er nicht nur um Gold, sondern auch um die Teilnahme an der Elite-WM in St. Moritz kämpfte, hat er Eggert erst einmal freundlich begrüßt und erklärt: „Schön, dass du gekommen bist.“ Um kurze Zeit später zum Titel im Viererbob zu rauschen.
So cool war Semmler in St. Moritz verständlicherweise nicht. Nicht ob des Events. Nicht ob seines primären Ziels, das er in der altehrwürdigen Naturbahn verfolgte. Dort spürten nicht nur er, sondern auch seine drei Anschieber Marvin Paul, Oliver Peschk und Rupert Schenk (alle SC Potsdam) ein gewisses Zittern in den Knien, bevor sie sich ins Medaillenrennen über vier Wertungsläufe stürzten. Die Semmler-Crew belegte am Ende Platz acht. Und es klingt ein bisschen durch beim Piloten, der am vergangenen WM-Sonnabend seinen 26. Geburtstag feierte, dass er gerne den einen oder anderen Rang weiter nach vorne gefahren wäre. „Aber dafür waren vor allem der erste und dritte Lauf nicht gut genug“, sagte der Mann vom BRC Ilsenburg.
Die ungeraden Durchgänge hatten also ein besseres Ergebnis verhindert, während Semmler gerade im zweiten Lauf in die Sphären der absoluten Weltspitze rauschte. „Mit diesem Lauf war ich super zufrieden. Man muss eben sagen, dass uns gerade auf der Weltcup-Bühne komplett die Erfahrung fehlt. Ich habe ein sehr, sehr junges Team. Aber ich war in St. Moritz mit den Startzeiten sehr zufrieden“, erklärt Semmler. Am wichtigsten allerdings war: „Wir haben uns mit dem achten Platz den Status als Olympiakader in der neuen Saison gesichert.“
Am 16. Januar 2020 hatte Semmler erstmals den Bob durch einen Eiskanal pilotiert. Drei Jahre später ist er seinem Traum von Olympia einen großen Schritt nähergekommen. Doch ist er nicht nur cool, er war schon als Rodler in seiner Nachwuchskarriere äußerst realistisch beim Blick auf seine Situation. Mit Blick auf die Winterspiele in Cortina D’Ampezzo 2026 erklärt er: „Unsere Konkurrenz schläft nicht, wir müssen uns in jedem Jahr verbessern, um eine Chance auf die Olympia-Teilnahme zu haben.“ Dabei schaut er auch auf Francesco Friedrich, das Non-plus-ultra in der Bobszene. „Er hatte auch eine Vorlaufzeit, in der er sich entwickeln konnte.“ Inzwischen ist Friedrich (32) viermaliger Olympiasieger.
Für Semmler ist der Sprung in den Olympiakader nicht nur finanziell ein Segen. Bislang gehörte er zu den Nachwuchsathleten, die zwar monatlich mit 300 Euro von der Deutschen Sporthilfe unterstützt wurden. Künftig sind es 100 Euro mehr. Viel wichtiger sind ihm die neuen Freiheiten und Bedingungen, in denen er sich bewegen darf.
Beispiel: „Bisher wurde ich physiotherapeutisch mit einem Besuch pro Woche für 20 Minuten unterstützt, das hat für einen Muskel gereicht“, sagt er lachend. Nun darf er sich zweimal pro Woche für 45 Minuten auf die Massagebank legen. Das reicht dann für den ganzen Körper. Und damit ist auch die Zeit vorbei, in der Semmler „die Physiotherapie komplett aus der eigenen Tasche finanziert hat“, sagt er. Semmler bezieht sein Gehalt von der Bundeswehr.
Ich werde auch
in Zukunft für Sachsen-Anhalt starten.
Die Physiotherapie findet er in Magdeburg wie auch alle anderen Möglichkeiten für die Arbeit im athletischen Bereich, die er unter Landestrainer Birk Lösche absolviert. Semmler will sie auch künftig nutzen. „Ich werde auch in Zukunft für Sachsen-Anhalt starten“, sagt er. Wenngleich er als Bobpilot womöglich am Stützpunkt anderer Bundesländer für seinen Sport bessere Bedingungen finden würde. „In Thüringen zum Beispiel können die Piloten bereits auf 30 Kufenpaare zurückgreifen, wir bauen hier erst unser Materiallager auf. Dafür habe ich aber alle Freiheiten, wenn ich in etwas investieren möchte, was für mich Sinn macht, dann wird das umgesetzt.“ Und für künftige Investitionen steht vielleicht auch mehr Geld zur Verfügung. Semmler: „Wir hoffen, dass wir mit unseren Ergebnissen in dieser Saison mehr Türen zu Sponsoren öffnen können.“
An diesem Wochenende öffnet sich die Tür für ihn zum ersten Mal bei einem Weltcup. Er startet im Vierer in Innsbruck. Eine Woche später besucht er mal wieder Winterberg. Diesmal beim Europacup, in dem Semmler um den Sieg in der Gesamtwertung kämpft. Auch dann wird er sich über jeden Besucher freuen. Oder sogar persönlich begrüßen.