Geheimnisvolle Welten auf der Bühne
Stanislaw Lems „Solaris“ gilt als eine der wesentlichen SF-Werke des 20. Jahrhunderts. Der Benneckensteiner Janek Liebetruth bringt eine Theateradaption ins Wernigeröder Konzerthaus Liebfrauen.

Von Uwe kraus
Wernigerode. Das Buch durfte in keinem Regal von DDR-Science-Fiction-Freunden fehlen: „Solaris“, die 1961 erstmals editierte SF-Erzählung des polnischen Autors Stanislaw Lem. Der gleichnamige 170-Minuten-Mammutfilm in der Regie von Andrej Tarkowski kam still und melancholisch daher und wurde 1972 nicht nur in den Programmkinos der DDR-Großstädte ein großer Erfolg. Feierten die Cineasten den sowjetischen Filmemacher Tarkowski als König der Langsamkeit. Mit George Clooney schuf Steven Soderbergh 30 Jahre später die US-Version; kürzer, von eigener Ästhetik und mit elegischen Melodien.
Tarkowski, Soderbergh und nun der Benneckensteiner Janek Liebetruth im Konzerthaus Liebfrauen Wernigerode? Der wehrt ab. „In die Reihe der großartigen Filmemacher kann ich mich nicht mit einreihen. Ich bin Theater-Mann und weiß, das Buch gilt als beliebter Bühnenstoff. 2022 kam da auch der Impuls von Rainer Schulze, ob sich im ehemaligen Gotteshaus nicht „Solaris“ inszenieren ließe.
Liebetruth hat als Atheist „nicht viel Dunst von Kirche“. In der jetzigen Spielstätte sei über Jahrhunderte Religion und Glaube zelebriert worden. „Mir geht es weniger um Tradition und eine Rückschau. Die Liebfrauen-Kirche ist entwidmet, wir sollten nach vorn schauen. Da passt das Stück bestens. Christen haben ja von altersher ihre Utopie vom Zusammenleben.“
Neu-Definition
Den Stoff des Buches von Lem zu verfolgen, sei „keine einfache Kost“, so Liebetruth. „Durch die symbolträchtige Wahl eines entweihten Kirchenortes für die Inszenierung wird das Motiv des Glaubens und der Spiritualität unterstrichen, während die Crew-Mitglieder auf der Forschungsstation die Ambivalenz zwischen Fortschritt und menschlichen Grenzen verkörpern. Die Reise zu Solaris lädt dich ein, dich selbst und deine Position in der Welt neu zu definieren“, steht in der Einladung zur zweistündigen Inszenierung am 17. und 18. November.
Der Regisseur, der in Berlin lebt, weiß, „Solaris“ hebt sich deutlich von dem ab, was er in sechs Jahren auf die Waldbühne in Benneckenstein gestellt hat, wo er mit dem TheaterNatur einen großen Heim-Bonus hatte. „Solaris“ sei eine fesselnde Erzählung über den menschlichen Drang, das Unbekannte zu erforschen und zu beherrschen. Es ist eine Geschichte von Menschen, die auf einen fremden Planeten reisen, um dessen Geheimnisse zu entschlüsseln.
„Das spielt weitab von den einst sehr regional gebundenen Stoffen. Der Mensch ist an die entferntesten Winkel des Universums gereist, aber letzten Endes hat er es verpasst, das zu untersuchen, was es wirklich zu untersuchen wert gewesen wäre. Sein Herz,“ konstatiert Janek Liebetruth, der mit seinem Theaterkollektiv für „Künstlerische Intelligenz“ im alten Kirchenschiff agiert.
Nach seiner Auftaktproduktion „Die vorletzten Tage der Menschheit“ im Vorjahr setzt nun „Solaris“ als zweiter Teil die geplante utopische Trilogie fort. Dieses Jahr erlebe man eine Adaption, im kommenden kehre man mit einem Stück über Künstliche Intelligenz als Uraufführung zurück. In „Solaris“ hat der Autor nun eine KI-Figur eingeflochten. In der Vorlage übernimmt der Bordcomputer die Macht auf der Station. Jetzt baut sich KI die Form eines Schauspielers.
Janek Liebetruth ist voller Euphorie. „Endlich können wir mal weiter als paar Monate in unsere Zukunft schauen. Das macht eine zweijährige Basisförderung des Landes Sachsen-Anhalt möglich, was auch dem Wernigeröder Konzerthaus Planungssicherheit gibt.“
Der Regisseur freut sich, wieder mit tollen Kollegen zusammenzuarbeiten. Der Berliner Texter Sören Hornung, mit dem Liebetruth schon in Benneckenstein beim Festival TheaterNatur Erfolge feierte, zählt ebenso dazu wie Karl Schaper, der dort zweimal auf der Bühne zu sehen war, in „Hamlet“ und „Die Räuber“ spielte und „eine krasse Entwicklung genommen hat.“
Anderes Bezahlsystem
Schaper hat gerade viel gedreht („Soko Potsdam“) und tritt vorerst nur bei „Solaris“ auf die Theaterbühne. Der Schauspieler habe als Wernigeröder vielleicht sogar einen größeren Heimvorteil als der Regisseur, der zwar in Wernigerode geboren wurde, seine „Fan-Base“ aber eher im Oberharz hat. Er freut sich, dass Barbara Toppel vom Philharmonischen Kammerorchester nicht nur eine Gast-Rolle, sondern auch die Orgel im Konzerthaus spielen werde. „Ich möchte gern auf die diverse Besetzung mit Simone Müller Pradella und Jan Tsien Beller hinweisen. Beide sind erstmals im Harz.“
Am Samstag erlebt das Publikum eine besondere Aufführung, denn eine komplette Hochzeitsgesellschaft habe bereits Karten gekauft. Alle anderen Interessenten können noch Karten erwerben. Doch für eine Kleinstadt wie Wernigerode wird dazu erstmals ein großstädtisches Bezahlsystem genutzt: Pay what you want (PWYW, „Zahle, was du willst“). Das sei ein Modell, bei dem der Preis allein durch den Käufer festgelegt wird und trotzdem die Kasse stimme.
Vorstellungen von „Solaris“ am 17. und 18. November jeweils ab 19.30 Uhr, am 19. November ab 17.30 Uhr, Konzerthaus Liebfrauen Wernigerode, weitere Informationen und Tickets unter www.konzerthaus-wernigerode.de